Der Weg zur Meinungsführerschaft im Social Web

Im Social Web gibt es keine Hierarchien, “die Online-Welt ist eine Scheibe”, so der weit verbreitete Tenor. Dennoch haben wir das (berechtigte) Gefühl, dass einzelne Personen, Unternehmen und Organisationen ein besonders großes Stück der Aufmerksamkeit von Usern auf sich ziehen können und darüber hinaus auch das Vertrauen der Zielgruppe genießen. Woran liegt das?

Eine meist verschwiegene Tatsache muss ich dabei gleich zu Beginn festhalten: Nur weil es keine hierarchischen Ebenen im klassischen, analogen Verständnis gibt, heißt das nicht, dass das Internet frei von Beziehungs-Strukturen ist. Im Gegenteil, es gibt sehr klare Muster, die im Social Web zu erkennen sind. Sie erstrecken sich jedoch nicht vertikal, sondern horizontal und haben eine ganz andere Wertigkeit als jene im “echten Leben”.

Zu den wichtigsten digitalen Beziehungs-Parametern gehören Vernetzung, Engagement, Reputation und Autorität. Genau diese Begriffe und ihre Wirkung auf Unternehmensziele, besonders in Hinblick auf Thought-Leadership und Content Marketing, möchte ich heute zum Thema machen.

Das Social Web begreifen

Das Social Web zu begreifen, heißt menschliche Beziehungen zu verstehen. Das Internet ist nichts anderes als die digitale Vernetzung von Menschen anhand von thematischer Interessenspunkten. Online sind wir an keine räumlichen Grenzen gebunden, wir verfolgen unsere Leidenschaften und vernetzen uns mit Gleichgesinnten, egal an welchem Ort sie sich befinden.

Um den Beziehungsaufbau der User im Netz zu begreifen, müssen wir wiederum wissen, warum sich diese überhaupt ins Social Web begeben. Dr. Jan-Hinrik Schmidt vom Hans-Bredow-Institut für Medienforschung an der Universität Hamburg hat drei Facetten der Internetnutzung identifiziert. Damit beantwortet er uns die Frage, was die Menschen ins Social Web bringt:

  • Identitätsmanagement: Das Darstellen und Verfolgen persönlicher Interessen, Kompetenzen und Meinungen.
  • Beziehungsmanagement: Das Abbilden, Knüpfen und Pflegen persönlicher Netzwerke.
  • Informationsmanagement: Das Stillen von Wissensdurst und die Suche nach relevanten Informationen.

Zu sehr ähnlichen Ergebnisse kam auch die Studie “Wave 7 – Cracking the Social Code”. Sie identifiziert fünf Grundbedürfnisse für das Nutzerverhalten in sozialen Medien:

  • Beziehungspflege,
  • Unterhaltung,
  • Lernen,
  • Anerkennung und
  • Selbstverwirklichung.

Wenn man diese sozialen Aspekte des Internets mit den Ansprüchen von Unternehmen an das Netz kombiniert, sieht man sehr schnell, dass Unternehmen im Social Web nur dann erfolgreich auftreten können, wenn sie erstens menschliche Beziehungen als zentralen Maßstab ansehen und zweitens das Internet als Kommunikationsmedium begreifen.

Bereits in der Zeit vor dem Social Web wurden Geschäfte mit denjenigen abgeschlossen, denen man vertraut hat oder wie einem persönlich empfohlen wurden. Heute ist es kein bisschen anders. Gerade im Social Web sind persönliche Empfehlung (Word of Mouth) und der Aufbau von Vertrauen trotz, oder vielleicht gerade wegen, räumlicher Distanz ganz besonders wichtig.

Reputationsaufbau im Social Web

Der Unterschied zwischen Unternehmen im Social Web und erfolgreichen Unternehmen im Social Web, liegt selten am Grad der Vernetzung, jedoch stark an der Art und der Qualität ihrer Beziehungen. Sehr ähnlich verhält es sich auch in Bezug auf die Kommunikation. Kommunizieren tun mit Sicherheit beide Gruppen von Unternehmen, die einen führen jedoch einen Monolog, während die anderen einen Dialog pflegen.

Die Stolpersteine für die erste Unternehmensgruppe bilden Begriffe wie Menschlichkeit, Persönlichkeit, Ehrlichkeit und Engagement. Diese Unternehmen setzen die Bedürfnisse und Beweggründe ihrer Zielgruppe nicht in den Mittelpunkt ihrer Kommunikationsbemühungen, sondern beziehen sich immer nur auf sich selbst.

Um eine zentrale Rolle innerhalb der Online-Gemeinschaft einzunehmen, müssen Unternehmen Leistungen erbringen. Reputation heißt Beziehungsarbeit leisten und Engagement für die Gemeinschaft aufbringen. Um es ganz deutlich zu sagen: Vernetzung alleine macht noch keine Reputation aus. Diese entsteht durch das Engagement, das an den Tag gelegt wird, und den Nutzen, den die Netzgemeinde aus diesem Engagement ziehen kann.

Der Weg von der Reputation zur Autorität ist ein logischer, aber keineswegs einfacher. Während ein Unternehmen den Status eines eifrigen und wertvollen Gemeinschaftsmitglieds vergleichsweise schnell aufbauen kann, heißt es sich in Sachen Autorität als Thought Leader zu positionieren.

Meinungsführer bauen sich durch ihr Online-Handeln und ihr Engagement an der Gemeinschaft Autorität auf. Sie tragen dazu bei, das Beste aus der Community herauszuholen, damit für so viele Mitglieder wie möglich ein Vorteil entsteht. Sie teilen ihr Wissen, bieten Hilfestellung und stellen sich niemals ins Zentrum. Echte Meinungsführer beziehen allerdings auch Stellung, sie übernehmen Verantwortung und verstehen, dass sie nur aufgrund der Gruppe zu ihrem Leadership berechtigt sind. Sehr knapp formuliert: Sie führen, weil sie dienen.

Positionierung als Thought-Leader

Thought-Leadership, Meinungsführerschaft, ist demnach ein nicht selten formuliertes Unternehmensziel. Die Frage ist nur, wie wird man eine Autorität auf seinem Gebiet? Dazu fand ich folgende Aussage von Jason Miller, Content-Marketing-Verantwortlicher bei Linkedin, sehr treffend:

! I was once asked how to be a thought leader. The answer is: You have to be one. That takes understanding of the market and the people you are trying to reach and engage. You have to understand the state of the world, and also have ideas on how it should evolve. But it starts by being human. […] True thought leadership starts with empathy. […] Someone who is honestly trying to better understand the people they are trying to help. And if understanding and helping is the goal, I don’t believe true thought leaders would call themselves thought leaders.

Thought-Leadership lässt sich somit, genauso wie Content Marketing, auf einen grundlegenden Paradigmenwechsel im Selbstverständnis von Unternehmen und Persönlichkeiten zurückführen. Ein Sachverhalt, auf den ich bereits im Beitrag Content Marketing ist tot. Es leben das Content Marketing! hingewiesen habe. Die Ausgangsfrage kann daher niemals lauten, was ich aus einer bestimmten Position innerhalb der Gemeinschaft für mich herausholen kann, sondern ob ich aus einer bestimmten Position der Gemeinschaft einen bedeutenden Nutzen bringen kann. Sowohl Content Marketing als auch Inbound Marketing haben sich in diesem Sinne als besonders effektiv erwiesen.

Reputations-Takeaway

Der Weg zu Autorität und Meinungsführerschaft im Social Web beginnt daher immer (!) bei einem selbst – bei der eigenen Positionierung, bei persönlichen Beweggründen und den eigenen Leistungen, die für die Gemeinschaft erbracht werden.

Rückblick auf den A-TAG’15

Am 25. September 2015 fand der A-TAG’15 statt. Dieser wird von accessible media seit 2006 veranstaltet und hat sich im deutschen Sprachraum inzwischen zur wesentlichen Veranstaltung im Themenspektrum barrierefreies Internet (Accessibility) entwickelt.

Es ist mir eine besondere Ehre meinen ersten Artikel hier auf diesem Blog über diese Veranstaltung zu schreiben. Einerseits, weil es diesmal meine erste Veranstaltung als Teammitglied von Zensations war und andererseits, weil ich seit den ersten Tagen von accessible media und somit der A-TAG-Veranstaltungen Teil ihrer Geschichte bin.

accessible media und der A-TAG

accessible media ist ein Zusammenschluss von Organisationen, Unternehmen sowie Einzelpersonen, die sich als Interessenvertretung für das Aktivitäts- und Geschäftsfeld “barrierefreie Medien” versteht und jährlich den A-TAG veranstaltet. Diese Organisation hat nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass wir heute in Österreich einen rechtlichen Rahmen für das barrierefreie Internet haben. Mit dem A-TAG will man dazu sorgen, dass dieses Thema weitere Verbreitung und Vernetzung erfährt sowie die Professionalisierung vorangetrieben wird. Auf A-TAG’15 wurde mit einem kleinen Rückblick auf das 10jährige Jubiläum von accessible media aufmerksam gemacht und allen in diesen Jahren beteiligten Personen, Organisationen, Kooperationspartnern und treuen Sponsoren gedankt, die accessible media in der mühsamen Aufbauarbeit unterstützt haben.

All Accessibility

Die diesjährige Veranstaltung stand diesmal unter dem schlichten Motto “All Accessibility”. Damit wollte man die thematische Vielfalt des Programms ausdrücken, welche erstmals in dieser Breite stattgefunden hat. So vielfältig das Thema ist, so vielfältig sind auch die Entwicklungen und Produkte, die es bereits gibt. Diesem Umstand wurde Rechnung getragen.

Besonders auffällig war diesmal einerseits, dass die Breite der barrierefreien Anwendungen und Einsatzmöglichkeiten immer mehr zunimmt – von Apps, Webprojekten, Frameworks für assistive Technologien bis hin zu speziellen Videolösungen in Gebärdensprache. Andererseits wurde auch klar, dass es viele Insellösungen gibt, welche nach einer neuen Sichtweise und einem größeren Verständnis ruft, damit das Potenzial von Accessibility allgemein begreifbarer wird. Diese zeigte sich unter anderem im Talk von Kerstin Probiesch, die praktisch aufzeigte, dass zB bei eCommerce-Websites wesentliche Informationen von bestimmten Usern gar nicht wahrgenommen werden können und somit unter diesen Umständen einen positiven Geschäftsabschluss verhindern.

Erweiterte Dimensionen von Accessibility

Wer sich mit dem Thema barrierefreies Web auseinandersetzt, wird früher oder später unweigerlich auf die Richtlinien der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.0 stossen. In der praktischen Umsetzung werden diese überwiegend als Checkliste verstanden, ohne sich der echten Dimensionen bewusst zu sein. Da es in Österreich rechtlich so definiert ist, dass der internationale Standard automatisch rechtsverbindlich ist, ist das Verstehen der WCAG 2.0 eine Vorraussetzung. Allerdings macht es Sinn, sich bewusst zu sein, dass diese nur einen Mindeststandard sichern, aber nicht automatisch das Funktionieren in Praxis oder gar Innovationen garantieren. Damit ist gemeint, dass zB ein digitales Produkt in Form einer Website technisch barrierefrei ist, jedoch nicht die User erreicht, obwohl gewisse Angebote zwar existieren, jedoch bei den Usern kaum bekannt sind. Um dies zu verdeutlichen bin ich in der abschließenden Closing Note auf dieses Thema eingegangen, welche ich unten noch erläutern werde.

Evaluierung und W3C

Da in Österreich die 10-jährige Übergangszeit für Barrierefreiheit mit 31.12.2015 endet und damit mit 1.1.2016 eine neue rechtliche Realität eintritt, wird die Frage nach der Evaluierung bestehender Seiten eine besondere Herausforderung, die sich bereits in diesem Jahr bemerkbar gemacht hat. Mikael Snaprud (European Internet Inclusion Initiative) und Wolfram Huber (Webtech) haben in ihrem Vortrag dieses Thema für große Websites behandelt. Weil diese im eGovernment-Bereich oft aus tausenden von Seiten bestehen, macht es durchaus Sinn auf automatisierte Evaluierungstools zurückzugreifen, um besser erfassen oder überwachen zu können, allerdings ersetzt es das manuelle Testen anhand weniger beispielhafter Seiten nicht. Interessant war vor allem das Faktum, dass im europäischen Vergleich im Durchschnitt die Niederlande am Besten abschneidet, was die Barrierefreiheit von Webseiten der öffentlichen Hand betrifft.

Eric Eggert vom W3C, die Organisation, welche die weltweiten Webstandards definiert (darunter auch die WCAG 2.0) hat einen Überblick über die aktuellen Entwicklungen gezeigt. Unter anderem wurden einen Tag vor dem A-TAG’15 die neuen ATAG 2.0 Richtlinien veröffentlicht. Dieser neue Standard soll die Barrierefreiheit von Authoring Tools sicherstellen, um zB das Editieren von Webinhalten zugänglicher zu machen. Auch praktische Ressourcensammlungen wurden präsentiert, wie etwa die Web Accessibility Evaluation Tools List (http://www.w3.org/WAI/ER/tools/) oder Web Accessibility Tutorials (http://www.w3.org/WAI/tutorials/).

Status Quo

In meinem abschließenden Talk (Closing Note) habe ich versucht, meine Sichtweisen über die derzeitige Situation bzw. Lage des barrierefreien Internets zu erörtern.

SHOWSTOPPER SPRACHE

Ein erster Punkt war die Tatsache, dass wir ein Umdenken in der sprachlichen Vermittlung von Barrierefreiheit brauchen. Vor allem der Begriff “barrierearm” sollte nicht mehr verwendet werden. Denn dieser verleitet zu einer Nachlässigkeit, zu einem Qualitätsverlust und zu einer beschränkten Sichtweise von Accessibility. Deshalb sollte man nicht mehr aus der medizinischen Perspektive und damit nicht mehr einseitig auf etwaige Behinderungen von Menschen argumentieren, denn das schränkt den eigentlichen Kern von Barrierefreiheit ein. Das Potenzial ist viel größer, wenn wenn die Thematik aus der sozialen Perspektive heraus betrachtet.

“ZIELGRUPPENDENKEN” VS. WAHRNEHMUNGSVIELFALT

Damit kommen wir schon zum zweiten Punkt mit der Zielgruppenorientierung. Hier wollte ich aufzeigen, wie das klassische Zielgruppendenken sich auf die Accessibility auswirkt. Auch hier braucht es ein Umdenken, um von der medizinischen Perspektive auf eine soziale Sichtweise zu kommen. Denn man neigt zu sehr dazu, Menschen mit Behinderung als eine homogene Gruppe zu betrachten, welche in der Realität eigentlich nicht wirklich existiert. In Wahrheit haben wir es mit sozialen Netzen zu tun, die in ihren Wahrnehmungpräferenzen verschieden sind und dennoch miteinander interagieren (Wahrnehmungsvielfalt).

ACCESSIBILITY IST KEIN ADD-ON ODER AFTERHOUGHT

Im nächsten Punkt versuchte ich auf den Stellenwert von Accessibility in den Arbeitsabläufen aufmerksam zu machen. Es ist leider noch immer überwiegend die Regel das Thema Barrierefreiheit nachrangig (Afterthought) und als zusätzliche Erweiterung (Add-on), das im nachhinein implementiert wird, behandelt wird. Anders sieht es aus, wenn man Accessibility von Anfang an integriert, nämlich schon möglichst ab der Ideen- und Konzeptionsphase. Denn hier spart man viel Zeit, Kosten und nützt das Potenzial dieser Thematik besser aus. Vorraussetzung ist natürlich, dass man den Rahmen der Möglichkeiten für die Accessibility kennt und man sich ihrer Breite bewusst ist.

REDUKTION AUF TECHNISCHE ZUGÄNGE ERMÖGLICHT KEINE INKLUSION

Dies führte mich zu der nächsten Aussage, dass die Reduktion auf technische Zugänge keine Inklusion ermöglicht. Um dies zu illustrieren, erzählte hier mein Erlebnis, in der ich damals eine aktuelle Kunstausstellung mit einem Multimediaguide mit Gebärdensprache besuchen wollte. Um zu erfahren welche aktuellen Angebote es gibt, war der erste Anhaltspunkt die Suchmaschine. Ich wusste, dass es Angebote gibt, allerdings nicht, welche aktuellen es gab. Zu meiner Überraschung fand ich über die Suchmaschine keine brauchbaren Informationen, sondern nur Hinweise, dass es einen solchen Guide im Museum gibt. Aufgrund dieser Tatsache neugierig geworden, versuchte ich es direkt auf den Museumswebsites und selbst dort war es nicht einfach relevante Informationen zu erhalten, wenn auch oft nur umständlich. Erst eine damals aktuelle APA-OTS Presseaussendung machte mich zufällig auf ein aktuelles Angebot im Kunstforum der Bank Austria aufmerksam, welches ich sofort am selben Tag noch besuchte. Allein wegen dieser Tatsache wollte ich aufzeigen, welche Chancen hier liegen gelassen werden, obwohl es damals noch weitere Aha-Erlebnisse gab.

ACCESSIBILITY ALS ÖKOSYSTEM

Ausgehend von diesen Erlebnissen kam ich zum nächsten Statement, nämlich die Accessibility als ein Ökosystem zu begreifen. Hiermit will ich betonen, dass Accessibility erst durch ein Zusammenspiel von Schnittstellen, Abläufen, Inhalten, Informationen, realen Erlebnissen etc. lebendig wird. Damit wollte ich zeigen, dass es im Prinzip um ein Erlebnis geht. Worauf ich abschließend verdeutlichen wollte, dass man Accessibility als ein Nutzungserlebnis (User Experience – UX) denken soll. Um in der Fachsprache zu bleiben, habe ich das auf englisch als “Balanced UX – shared experience of the different” formuliert. Damit sei keineswegs gesagt worden, dass dies Barrierefreiheit ersetzen soll, sondern es in diesem Sinne weitergedacht werden sollte.

Come together

Der Ausklang jedes A-TAG bildet immer das Come together, ich kann es nicht genug betonen welche wunderbaren Gespräche es hier gibt. Die Vielfalt der Menschen, die hier miteinander in Kontakt treten, bildet sich auch in der Themenvielfalt ab. Selbst wenn manche Personen gehörlos sind, durch anwesende GebärdensprachdolmetscherInnen (welche auch den ganzen A-Tag in österreichischer Gebärdensprache übersetzen) werden Gespräche möglich, die für andere wiederum eine ziemliche Bereicherung sein können, genauso auch umgekehrt. Ich freue mich jetzt schon auf das nächste Mal auf dem A-TAG’16 – vielleicht auch mit euch!

Sämtliche Vorträge des A-TAG werden noch auf der A-TAG’15-Website in nächster Zeit zum Download bereitgestellt.

Links: http://atag.accessiblemedia.at http://www.accessiblemedia.at

Jo Spelbrink ist derzeit Vorsitzender von accessible media und als Developer mit dem Schwerpunkt Frontend und Accessibility ein Neuzugang bei Zensations. Er wird dabei auch mit seinem kritischen Blick die neue Website betreuen.

Content Marketing ist tot. Es lebe das Content Marketing!

Schon mal von Content Marketing gehört? Die Frage ist natürlich mit einem Augenzwinkern zu verstehen, ich konnte einfach nicht widerstehen. Natürlich, das hat ja beinahe jeder schon! Während einige Unternehmen diesen Marketingansatz voller Engagement zu implementieren versuchen, wird ein anderer Teil meiner Leser gerade entnervt die Augen verdrehen und behaupten, dass dieses künstlich geschaffene Buzz-Wort schon immer dagewesen sei, nur eben unter einem anderen Namen.

Der proklamierte Hype rund um das Thema Content Marketing scheint in Österreich jedoch nur innerhalb eines kleinen Teils des Branchendiskurses zu existieren, denn die nackten Statistikdaten sprechen eine ganz andere Sprache. Der [Werbemarkt Österreich](http://www.goldbachaustria.at/de-at/insights/werbemarkt-oesterreich“Werbemarkt Österreich“) ist mit 51,7% immer noch der klassischen Werbung verschrieben und somit wirkt es wie ein überzeugtes „Print-Land“. Wird hier also ein Ansatz zu Grabe getragen, der in Österreich noch nicht einmal so wirklich das Licht der Welt erblickt hat?

Bevor ich hier meine persönliche Ansicht darlege, möchte ich zwecks eines besseren Verständnisses, den Ansatz des Content Marketing genauer beleuchten. Was ist Content Marketing wirklich und was ist es sicherlich nicht? Was unterscheidet es vom benachbarten Feld des Inbound Marketing? Wo liegt die größte Herausforderung und wo zeichnet sich das größte Potenzial ab?

Gab es Content Marketing nicht schon immer?

Zäumen wir das Pferd von hinten auf! Fangen wir mit der Klage an, dass es Content Marketing schon immer gegeben hat – nur unter anderem Namen. Kann diese Behauptung stimmen? Teilweise, ja.

Wenn wir genau schauen und auch als Content Marketer ehrlich sind, dann gab es diesen Ansatz in der Tat schon vor langer Zeit: Der amerikanische Landwirtschaftsmaschinen-Hersteller John Deere war der erste, der ein Magazin („The Furrow“) publizierte, um damit seine Zielgruppe durch relevante und nützliche Inhalte zu unterstützen und so an das Unternehmen zu binden. Das war 1895 und sowohl das Unternehmen, als auch das Magazin bestehen heute noch.

Festzuhalten ist also, dass dem Content Marketing keine absolut neue Idee zugrunde liegt. Festzuhalten ist aber auch, dass Content Marketing funktioniert. Dennoch geht Content Marketing aus heutiger Sicht noch einige Schritte weiter und ist somit mit der genialen Idee von Deere nur ansatzweise vergleichbar. Modernes Content Marketing ist ein Ansatz, der auf integrierter Unternehmenskommunikation basiert und selbst „nur“ ein Teil eines ihm übergeordneten Ansatzes (dazu gleich mehr) ist. Hierbei wird auf die massiven gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umwälzungen eingegangen, die seit der nahezu flächendeckenden Verbreitung des Internets und seiner Entwicklung zum Social Web eingetreten sind. Content Marketing hat sich von einem rein analogen zu einem onlinebasierten Marketing-Ansatz entwickelt. Laufende Weiterentwicklungen und Veränderungen, die Schnelligkeit des Mediums, ständige Kundennähe und konstanter Dialog sind nur einige der Charakteristiken, mit denen John Deere damals nicht zu kämpfen hatte.

Was ist Content Marketing?

Laut Definition des Content Marketing Instituts bezeichnet Content Marketing einen strategischen Marketingansatz, fokussiert auf die laufende Herstellung und Verbreitung hilfreicher und relevanter Inhalte, die eine klar definierte Zielgruppe anziehen und akquirieren sollen, um letzten Endes ein profitables Zielgruppenverhalten auszulösen.

Es geht beim Content Marketing also darum, hochwertige Online-Inhalte für die eigene Zielgruppe zur Verfügung zu stellen, gezielt auf ihre Fragen einzugehen und Lösungen für ihre Probleme zu liefern. Zu diesem Zweck bieten sich unterschiedliche Content-Formate, wie Blogbeiträge, Audio- und Videodateien, Bilder, Infografiken oder auch Live-Übertragungen an. Die Form der Inhalte ist nur insofern von Bedeutung als sie Ihrer Zielgruppe angepasst sein sollte. Nicht die eigenen Vorlieben zählen bei der Content-Erstellung, sondern einzig und allein die der Kunden.

Eine der größten Herausforderungen, die sich Content Marketer heutzutage stellen müssen, ist die Tatsache, dass dieser Ansatz kein Kampagnen-Modell darstellt, sondern Teil einer neuen Unternehmensstrategie sein muss. Es handelt sich hierbei um einen laufenden Prozess, eine unternehmerische Neuausrichtung, eine digitale Transformation – wenn Sie mich fragen, einen wahren Paradigmenwechsel.

Vielleicht empfinden manche meine Wortwahl an dieser Stelle etwas zu theatralisch. Es kann aber auch sein, dass die Tragweite dieser Strategie einfach noch nicht verinnerlicht wurde. Ich hoffe, dass sich dieser Umstand bald ändert und ein Teil meines Enthusiasmus überschwappt. Das Potenzial, das in Content und Inbound Marketing liegt ist tatsächlich enorm und beide bieten im Vergleich zu anderen Ansätzen und benachbarten Disziplinen klare Vorteile – sowohl für das Unternehmen selbst, als auch für die Kunden.

Was ist Inbound Marketing?

Da ich beide Begriffe in einem Atemzug erwähnt und zueinander in einen noch nicht definierten Bezug gestellt habe, scheint es, dass sowohl Content als auch Inbound Marketing einen gemeinsamen Ansatzpunkt haben müssen. Beide haben „irgendetwas mit Marketing“ zu tun und vor allem Inbound Marketing ist in Österreich noch relativ unbekannt.

Wieso ich das behaupte? Bei meiner Recherche zu den beiden Begriffen in Google Trends für die vergangenen 12 Monate war das Suchvolumen für Österreich so gering, dass überhaupt keine Grafiken angezeigt werden konnten. Ganz anders die Situation in den Vereinigten Staaten oder auch Frankreich. Sogar in Deutschland ist der Begriff des Inbound Marketing noch relativ unbekannt. Versuchen Sie es einfach selbst, hier der Link.

Inbound Marketing stellt das klassische Marketing auf den Kopf: Der Erstkontakt der Zielgruppe erfolgt nicht durch Werbung, sondern über hochwertigen Online-Content, den der interessierte User aus eigener Initiative und aus einem persönlichen Bedürfnis heraus findet. Diese Inhalte beantworten Fragen, lösen Probleme oder sind in irgendeiner anderen Form für den Webseitenbesucher von Interesse. Es geht also um das Anziehen und Mobilisieren potenzieller Kunden durch nützliche Inhalte.

Klingt das nicht genauso, wie die Definition von Content Marketing? Wo ist dann – vorausgesetzt es gibt ihn – der Unterschied zwischen diesen zwei Ansätzen?

Was Content Marketing von Inbound Marketing unterscheidet

Content und Inbound Marketing haben einen wichtigen gemeinsamen Kern: relevanter und hilfreicher Content, der die Zielgruppen anspricht und an das Unternehmen bindet. Der Unterschied wird jedoch klar, wenn wir uns die strategischen Ziele beider Ansätze verdeutlichen.

Die Unternehmensziele, die Content Marketing verfolgt, sind hauptsächlich Kommunikationsziele, die auf die Schaffung von Markenbewusstsein, Image, Reputation, Autorität und Thought-Leadership zielen. Inbound Marketing hingegen verfolgt klassische Verkaufsziele. Hier geht es um den steigenden Absatz, die Optimierung der Customer Journey und das Begleiten der Entwicklung eines Kunden hin zu einem echten „Fan“. Letzten Endes zahlen beide Ansätze auf die Unternehmensziele ein, wenngleich von unterschiedlichen Seiten.

Ist Content Marketing nun tot oder nicht?

Ich bin noch meine persönliche Einschätzung schuldig, ob Content Marketing nun tot ist oder nicht. Wenn man unter Content Marketing eine billige Werbeschleudern, verpackt in „schöne“ Online-Inhalte, verstehen, dann ist dieses Konzept nicht überlebensfähig. Der mündige Internetuser wird die Absichten schneller durchschauen, als man Content Marketing sagen kann.

Versteht man Content Marketing hingegen als jene strategische Unternehmenskommunikation, die den Wandel der Gesellschaft und somit auch der Konsumenten ernst nimmt, dabei auf einen ehrlichen Dialog hinarbeiten und die Bedürfnisse der Zielgruppen im Fokus behält, dann allerdings ist dieser Ansatz alles andere als tot. Er ist gerade erst im Entstehen und bringt Wachstumspotenziale mit sich, die wir heute noch schwer umfassend einschätzen können, die aber mit Sicherheit über klassische KPIs hinausgehen.