Im Social Web gibt es keine Hierarchien, “die Online-Welt ist eine Scheibe”, so der weit verbreitete Tenor. Dennoch haben wir das (berechtigte) Gefühl, dass einzelne Personen, Unternehmen und Organisationen ein besonders großes Stück der Aufmerksamkeit von Usern auf sich ziehen können und darüber hinaus auch das Vertrauen der Zielgruppe genießen. Woran liegt das?
Eine meist verschwiegene Tatsache muss ich dabei gleich zu Beginn festhalten: Nur weil es keine hierarchischen Ebenen im klassischen, analogen Verständnis gibt, heißt das nicht, dass das Internet frei von Beziehungs-Strukturen ist. Im Gegenteil, es gibt sehr klare Muster, die im Social Web zu erkennen sind. Sie erstrecken sich jedoch nicht vertikal, sondern horizontal und haben eine ganz andere Wertigkeit als jene im “echten Leben”.
Zu den wichtigsten digitalen Beziehungs-Parametern gehören Vernetzung, Engagement, Reputation und Autorität. Genau diese Begriffe und ihre Wirkung auf Unternehmensziele, besonders in Hinblick auf Thought-Leadership und Content Marketing, möchte ich heute zum Thema machen.
Das Social Web begreifen
Das Social Web zu begreifen, heißt menschliche Beziehungen zu verstehen. Das Internet ist nichts anderes als die digitale Vernetzung von Menschen anhand von thematischer Interessenspunkten. Online sind wir an keine räumlichen Grenzen gebunden, wir verfolgen unsere Leidenschaften und vernetzen uns mit Gleichgesinnten, egal an welchem Ort sie sich befinden.
Um den Beziehungsaufbau der User im Netz zu begreifen, müssen wir wiederum wissen, warum sich diese überhaupt ins Social Web begeben. Dr. Jan-Hinrik Schmidt vom Hans-Bredow-Institut für Medienforschung an der Universität Hamburg hat drei Facetten der Internetnutzung identifiziert. Damit beantwortet er uns die Frage, was die Menschen ins Social Web bringt:
- Identitätsmanagement: Das Darstellen und Verfolgen persönlicher Interessen, Kompetenzen und Meinungen.
- Beziehungsmanagement: Das Abbilden, Knüpfen und Pflegen persönlicher Netzwerke.
- Informationsmanagement: Das Stillen von Wissensdurst und die Suche nach relevanten Informationen.
Zu sehr ähnlichen Ergebnisse kam auch die Studie “Wave 7 – Cracking the Social Code”. Sie identifiziert fünf Grundbedürfnisse für das Nutzerverhalten in sozialen Medien:
- Beziehungspflege,
- Unterhaltung,
- Lernen,
- Anerkennung und
- Selbstverwirklichung.
Wenn man diese sozialen Aspekte des Internets mit den Ansprüchen von Unternehmen an das Netz kombiniert, sieht man sehr schnell, dass Unternehmen im Social Web nur dann erfolgreich auftreten können, wenn sie erstens menschliche Beziehungen als zentralen Maßstab ansehen und zweitens das Internet als Kommunikationsmedium begreifen.
Bereits in der Zeit vor dem Social Web wurden Geschäfte mit denjenigen abgeschlossen, denen man vertraut hat oder wie einem persönlich empfohlen wurden. Heute ist es kein bisschen anders. Gerade im Social Web sind persönliche Empfehlung (Word of Mouth) und der Aufbau von Vertrauen trotz, oder vielleicht gerade wegen, räumlicher Distanz ganz besonders wichtig.
Reputationsaufbau im Social Web
Der Unterschied zwischen Unternehmen im Social Web und erfolgreichen Unternehmen im Social Web, liegt selten am Grad der Vernetzung, jedoch stark an der Art und der Qualität ihrer Beziehungen. Sehr ähnlich verhält es sich auch in Bezug auf die Kommunikation. Kommunizieren tun mit Sicherheit beide Gruppen von Unternehmen, die einen führen jedoch einen Monolog, während die anderen einen Dialog pflegen.
Die Stolpersteine für die erste Unternehmensgruppe bilden Begriffe wie Menschlichkeit, Persönlichkeit, Ehrlichkeit und Engagement. Diese Unternehmen setzen die Bedürfnisse und Beweggründe ihrer Zielgruppe nicht in den Mittelpunkt ihrer Kommunikationsbemühungen, sondern beziehen sich immer nur auf sich selbst.
Um eine zentrale Rolle innerhalb der Online-Gemeinschaft einzunehmen, müssen Unternehmen Leistungen erbringen. Reputation heißt Beziehungsarbeit leisten und Engagement für die Gemeinschaft aufbringen. Um es ganz deutlich zu sagen: Vernetzung alleine macht noch keine Reputation aus. Diese entsteht durch das Engagement, das an den Tag gelegt wird, und den Nutzen, den die Netzgemeinde aus diesem Engagement ziehen kann.
Der Weg von der Reputation zur Autorität ist ein logischer, aber keineswegs einfacher. Während ein Unternehmen den Status eines eifrigen und wertvollen Gemeinschaftsmitglieds vergleichsweise schnell aufbauen kann, heißt es sich in Sachen Autorität als Thought Leader zu positionieren.
Meinungsführer bauen sich durch ihr Online-Handeln und ihr Engagement an der Gemeinschaft Autorität auf. Sie tragen dazu bei, das Beste aus der Community herauszuholen, damit für so viele Mitglieder wie möglich ein Vorteil entsteht. Sie teilen ihr Wissen, bieten Hilfestellung und stellen sich niemals ins Zentrum. Echte Meinungsführer beziehen allerdings auch Stellung, sie übernehmen Verantwortung und verstehen, dass sie nur aufgrund der Gruppe zu ihrem Leadership berechtigt sind. Sehr knapp formuliert: Sie führen, weil sie dienen.
Positionierung als Thought-Leader
Thought-Leadership, Meinungsführerschaft, ist demnach ein nicht selten formuliertes Unternehmensziel. Die Frage ist nur, wie wird man eine Autorität auf seinem Gebiet? Dazu fand ich folgende Aussage von Jason Miller, Content-Marketing-Verantwortlicher bei Linkedin, sehr treffend:
! I was once asked how to be a thought leader. The answer is: You have to be one. That takes understanding of the market and the people you are trying to reach and engage. You have to understand the state of the world, and also have ideas on how it should evolve. But it starts by being human. […] True thought leadership starts with empathy. […] Someone who is honestly trying to better understand the people they are trying to help. And if understanding and helping is the goal, I don’t believe true thought leaders would call themselves thought leaders.
Thought-Leadership lässt sich somit, genauso wie Content Marketing, auf einen grundlegenden Paradigmenwechsel im Selbstverständnis von Unternehmen und Persönlichkeiten zurückführen. Ein Sachverhalt, auf den ich bereits im Beitrag Content Marketing ist tot. Es leben das Content Marketing! hingewiesen habe. Die Ausgangsfrage kann daher niemals lauten, was ich aus einer bestimmten Position innerhalb der Gemeinschaft für mich herausholen kann, sondern ob ich aus einer bestimmten Position der Gemeinschaft einen bedeutenden Nutzen bringen kann. Sowohl Content Marketing als auch Inbound Marketing haben sich in diesem Sinne als besonders effektiv erwiesen.
Reputations-Takeaway
Der Weg zu Autorität und Meinungsführerschaft im Social Web beginnt daher immer (!) bei einem selbst – bei der eigenen Positionierung, bei persönlichen Beweggründen und den eigenen Leistungen, die für die Gemeinschaft erbracht werden.