Ein hochkarätiges Team aus unterschiedlichen Firmen und Organisationen zu denen auch Zensations zählt hat sich zusammengetan und in monatelanger Arbeit ein Produkt entwickelt, das nun gemeinsam mit Partnern realisiert wird. Was in Deutschland durch den BITV-Test geregelt wird oder in der Schweiz durch Access for All geboten wird, soll auch in Österreich Einzug halten.
Am diesjährigen A-TAG war es endlich soweit, als ein Teil des ACERT-Projektteams auf die Bühne trat und der Öffentlichkeit ein Projekt ankündigte, dessen Anfänge wesentlich weiter zurückliegen, als der offizielle Start im Jahr 2016. Ab dieser Ankündigung gab es kein zurück mehr und die finalen Weichen wurden gestellt, um Österreich endlich eine Möglichkeit der Zertifizierung von barrierefreien Web-Applikationen zu bieten. Hier gibt es die Präsentation zum Download!
Wie läuft eine Zertifizierung ab?
Im Zuge der Gespräche in der Steuerungsgruppe wurden mehrere Varianten besprochen, wobei man sich auf eine Option geeinigt hat, die bestehende Prozesse in Unternehmen unterstützt und zudem kostenschonend für Anwärter ist. Es wird eine zentrale Anlaufstelle im Web geben, wo Interessierte die Anforderungen bzw. alle relevanten Informationen erhalten.
Der Antragsteller muss im Rahmen einer Zertifizierung zur Einreichung eine Evaluierung der Online-Präsenz / der Applikation gemäß WCAG 2.0 AA vorlegen, welche durch eine fachkundige Person bzw. erfahrene Agentur durchgeführt wurde. Das Sample, welches der Evaluierung zugrunde liegt, wird gemeinsam mit einem Auditor der OCG bestimmt. Dieser Schritt ermöglicht es Unternehmen den Prozess mit Agenturen / Partnern durchzuführen, die bereits mit der Seite vertraut sind.
Je nach Größe und Komplexität wurden drei Kategorien angedacht:
- Kleine und wenig komplexe Websites (Testsample bis 9 Seiten)
- Mittelgroße und mäßig komplexe Websites (Testsample bis 14 Seiten)
- Große und komplexe Plattformen (Testsample bis 24 Seiten)
Es gibt jedoch auch Tendenzen zu einer 4. Kategorie, die sich an sehr große und hoch komplexe Plattformen (Shop, e-banking, Community, etc.) richtet. In dieser Kategorie wird jedoch in einem gemeinsamen Evaluierungsprozess ein aussagekräftiges Sample gewählt und anhand dessen eine individuelle Kostenschätzung vorgenommen. Die Nachfrage wird zeigen, inwieweit dafür Bedarf besteht.
Sobald die Evaluierung bei der Zertifizierungsstelle eingelangt ist, überprüft der Auditor diese anhand des Samples bzw. wählt stichprobenartig eine zusätzliche Anzahl an Seiten (10-20 %), um sicherzugehen, dass nicht nur das Sample optimiert wurde. Werden Mängel attestiert, so gibt es für das Unternehmen eine Nachfrist, in der diese behoben werden müssen, da andernfalls eine Zertifikatsvergabe versagt wird.
Kann meine Website zertifiziert werden?
Die Auszeichnung für eine barrierefreie Applikation beruht auf internationalen Standards, um anerkannte Qualitätskriterien dem Prüfvorgang zugrunde zu legen und somit auch eine über die Grenzen hinausgehende Vergleichbarkeit zu ermöglichen. Hierfür hat man sich bewusst für die WCAG 2.0 der Konformitätsstufe AA entschieden, da diese auch jetzt schon als Kriterium für barrierefreie Webauftritte des öffentlichen Sektors dienen und ein ausgewogenes Maß an Barrierefreiheit gepaart mit vertretbaren Aufwänden für die Contenterstellung repräsentieren. So werden diese etwa auch in der EN 301549 referenziert.
Für die Verleihung des Zertifikats müssen diese Kriterien vollends erfüllt sein, wobei es eine Nachbesserungsfrist gibt, in der Anwärter diese Mängel beheben können. Um sinnlosen Diskussionen erst gar keine Bühne zu geben: Nein, ein einziger fehlender Alt-Text oder eine in einem Artikel falsch gesetzte Überschriften-Hierarchie sind keine Dealbreaker.
Werden alle Kriterien erfüllt, so wird durch die OCG das Zertifikat in Form eines Dokuments, einem Eintrag in einer Datenbank samt Evaluierungsprotokoll sowie einem JS-Snippet verliehen. Das Snippet ist ein visuell gestaltetes dynamisches Label, das den aktuellen Status der Zertifizierung darstellt, bzw. eine Verlinkung zum DB-Eintrag der Zertifizierungsstelle sowie einem Meldeservice für Barrieren bietet. Diese Funktionalität bietet Webseitenbetriebern wie auch den Menschen, welche die Angebot nutzen eine Menge Vorteile. Durch die Zertifizierung der eigenen Website wird nicht nur eine soziale Verantwortung (CSR) kommuniziert, sondern ebenfalls ein Instrument der Qualitätssicherung genutzt, da die Ergebnisse einer Optimierung durch eine unabhängige Institution kontrolliert werden. Etwaige auftretende Probleme können direkt von Benutzern an die Betreiber gemeldet werden können. Diese haben die Möglichkeit durch das kostenlose Feedback rasch zu agieren und die Funktionsfähigkeit der Website wiederherzustellen.
Aufgrund der Schnelllebigkeit heutiger Technologien sowie dem Fakt, dass Websites dieser Tage fast ausschließlich sich ständig verändernde Systeme (neue Features, Design Relaunch, etc.) darstellen, wurde die Gültigkeit des Zertifikats auf drei Jahre beschränkt. Nach dieser Frist sowie durch essentielle Feature-Änderungen erfolgt eine Rezertifizierung der jeweiligen Bereiche bzw. der Seite um ein gleichbleibend hohes Level an Barrierefreiheit zu garantieren zu können.
Eine unabhängige Instanz entscheidet
Objektivität ist ein entscheidender Faktor. Deshalb wurde auf den renommierten Verein der Österreichischen Computergesellschaft als Zertifikatsgeber gesetzt. Vielen ist diese Institution rund um Ronald Bieber wohl besser vom ECDL (Europäische Computerführerschein) bekannt. Als zweite Instanz dient Accessible Media, ebenfalls ein Verein, der unter dem Dach der OCG zukünftig federführend für Auditoren sowie Weiterentwicklung des Zertifikats verantwortlich sein wird. Durch die langjährige Erfahrung, die breite Akzeptanz in Politik, Wirtschaft und der Bevölkerung wurde eine Basis geschaffen, um nicht nur einen geprüften Standard zu etablieren, sondern auch langfristig ein Monitoring zu ermöglichen, das gleichsam auch durch die Europäische Kommission gefordert wird. Hierfür kann die Datenbank eine einzigartige Quelle bieten.
Braucht Österreich überhaupt eine Zertifizierung?
Schon seit vielen Jahren existieren durch verschiedene Organisationen und Think Tanks Bemühungen, das Internet barrierefreier zu gestalten. So gibt es inzwischen auch bereits einen Draft der W3C zu den WCAG 2.1, obwohl leider die aktuelle Version noch nicht in allen Köpfen Einzug gehalten hat. Als Agentur haben wir in den letzten Jahren einen Wandel erlebt und ein stetig wachsendes Interesse bzw. eine Nachfrage zu Leistungen rund um digitale Barrierefreiheit verzeichnen können. Aber warum brauchen wir nun ein Zertifikat für barrierefreie Websites und warum genügt es nicht, individuell auf Basis der WCAG zu prüfen?
Die einfache Antwort lautet: Ja! Denn nur durch eine unabhängige Instanz kann ein einheitlicher Standard bzw. eine Qualitätssicherung gegeben werden, die eine fortlaufende Verbesserung der Systeme bringt. Unternehmen können sich in Ausschreibungen mit Hilfe dieses Zertifikats absichern und Konsumenten haben die Möglichkeit, Probleme auf einfachen Weg zu melden.
Und abschließend noch das Team hinter dem Projekt:
Edith Vosta (Bundeskanzleramt, Sektion VII/5) a.Univ.-Prof. Dr. Klaus Miesenberger (Johannes Kepler Universität Linz)
Mag. Klaus Höckner (Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreichs)
Pöll Daniel (Johannes Kepler Universität Linz)
Dr. Ronald Bieber (Österreichische Computergesellschaft)
Dipl.-Ing. Dr. Franz Pühretmair (Kompetenznetzwerk Informationstechnologie zur Förderung der Integration von Menschen mit Behinderungen (KI-I)
Werner Rosenberger, MSc (Gugler)
Ing. Martin Weber (Gugler)
Mag. Michael Aumann (myAbility Social Enterprise)
Mag. Wolfram Huber (Web-Tech)
DI Michael Stenitzer (Wienfluss)
Mag. Maria Putzhuber (Wienfluss)
Jo Spelbrink (Zensations)
Wolfgang Leitner (Zensations)
Seht ihr die Notwendigkeit für ein Zertifikat? Wir freuen uns auf eine angeregte Diskussion!
Noch kein Kommentar, Füge deine Stimme unten hinzu!