Ist man in den Einkaufsstraßen von Wien unterwegs sieht man immer mehr Menschen, die wie Zombies herumlaufen und beständig auf ihr Smartphone starren. Nein, sie posten keine neuen Instagram-Fotos. Sie sind auch nicht auf Facebook. Wenn man die Fingerbewegungen, Freudenschreie und Gesichtsausdrücke verfolgt weiß man dass es sich um etwas anderes handeln muss: Pokemon Go! Seit einiger Zeit ist das Spiel nun auch bei uns angekommen und hat viele Smartphone-Nutzer in den Bann gezogen.

Fluch oder Segen?

Die Präsenz in den Medien ist nicht zu übersehen, viele Zeitungen und Online-Portrale berichten von teilweise wahnwitzigen Vorfällen mit dem Spiel. Sogar der ÖAMTC meldete sich besorgt zu Wort und warnte vor der Ablenkung am Steuer: “So wendet ein Autofahrer auf der Autobahn, um eines der Monster zu erreichen […]”.

Es ist unglaublich, welches Suchtpotential in dem MMORPG-ähnlichem Spiel steckt und wie schnell sich die AR-Monsterjagd durchgesetzt hat. Manche Unternehmen oder Institutionen reagieren zum Teil sehr kritisch auf das Spiel, andere wiederum nutzen den neuen Trend für sich und hängen sich an naheliegende Pokestops. Genauso gibt es aber Menschen, die Angst vor diesem neuen Trend haben und sich in einer Abwehrhaltung vor dieser Innovation verstecken.

Ehrlich gesagt war es doch schon längst an der Zeit, dass ein AR/VR-Spiel in dieser Dimension auf den Markt kommt. Die Technologien dazu gibt es schon seit Jahren, es hat nur das richtige Spiel mit einer halbwegs spannenden Story und ausreichend “Suchtpotential” gefehlt. Nur 13 Stunden nach dem Launch war Pokemon Go in den USA die Nummer 1 im App Store. Mittlerweile verbringen Nutzer im Schnitt pro Tag unglaubliche 43 Minuten mit Pokemon Go während für WhatsApp nur 30 und für Instagram 25 Minuten übrig bleiben. Die Investition von 30 Millionen Dollar hat sich für Nintendo und Google anscheinend gelohnt.

Doch was macht das Spiel nun so erfolgreich? Wir sehen uns nachfolgend eine Handvoll möglicher Gründe für den überragenden Erfolg des interaktiven Monstersammelns an.

Enjoy the Flow

Bei einem Spiel von Gamification zu sprechen scheint wohl etwas absurd, aber genau die Prinzipien der “Verspieltheit” sind ausschlaggebend für den langanhaltenden Erfolg von Pokemon Go. Spiele sind dann erfolgreich, wenn sie über ein Design verfügen, dass einen möglichst langen Flow-Zustand beim Nutzer hervorruft. Aus psychologischer Sicht befindet man sich dann in einem Flow, wenn man sich an einem Punkt zwischen Unruhe und Langeweile befindet. In einem solchen Zustand verliert man jegliches Zeitgefühl, man geht total im Moment auf und spürt eine scheinbar unendliche Motivation.

Während wir in den vergangenen Jahrhunderten (oder Jahrzehnten) über Dinge wie Malen, Musizieren oder die Arbeit am Feld den Flow erreichten, sind es heute das Internet, Tinder und Smartphone-Spiele (hoffentlich nicht ausschließlich).

Pokemon Go gelingt es, den Großteil der Nutzer genau in diese “Flow Zone” zu katapultieren. Beim Spielen befindet man sich genau in dem wünschenswerten Bereich zwischen “Shut Down” und “Not Engaged”.

Back to the 90s

Wenn wir (die Generation Y) ehrlich sind, haben wir uns doch schon lange nach einer Neuauflage des Pokemon-Spiels gesehnt. Das Phänomen von Pokemon Go ist dieser Hinsicht eigentlich sehr einfach zu erklären, denn oft sehnen wir uns nach glücklicheren Zeiten. Und Pokemon Go erweckt in uns Erinnerungen an die gute alte Game Boy-Zeit. Viele von uns verbinden damit ihre jugendlichen, unbeschwerten Jahre. Da wird schnell klar, warum wir so sehr auf das Spiel abfahren! Dieses Comeback-Phänomen lässt sich unter anderem auch bei Zeitschriften und Fernsehserien beobachten.

Catch them all!

Fast alle Menschen sammeln irgendetwas – Briefmarken, Zitate aus Glückskeksen, Autos, Handtaschen, Sneakers und eben auch Monster. Würden wir nicht sammeln, so hätten wir als Spezies vermutlich nicht überlebt. Die Motive hinter dem Sammeln sind aus psychologischer Sicht sehr unterschiedlich. Für die einen Menschen ist es eine reine Leidenschaft, für die anderen eine Form der Bestätigung. Pokemon nutzt diesen Sammeltrieb, um uns zu motivieren, immer mehr der kleinen Monster zu sammeln. Es gibt immer bessere Monster zu entdecken und schließlich möchte man auch die Liste ebenso voll wie die Kollegen haben.

Reinforcement

Wie gelingt es, die Spieler dauerhaft zu motivieren, um für eine Belohnung zu spielen? Damit beschäftigt sich die Wissenschaft unter dem Begriff “Reinforcement”. In Casinos wird bei einarmigen Banditen ein variabler “Zeitplan” genutzt, um die Spieler zu belohnen. Darum haben die Spieler auch den Drang, ständig Münzen in den Automaten zu werfen (auch bekannt als “Operant Conditioning”). Wie die Belohnungen (also die Monster und die weiteren Gegenstände) bei Pokemon Go verteilt werden und in welchen Zeitabständen sie vergeben werden, ist zur Zeit unbekannt. Auf jeden Fall nutzt das Spiel eine Art des “Reinforcements”, um die Spieler ein kleines bisschen süchtig zu machen.

Fun, fun, fun

Ein weiterer, einfacher Grund warum Pokemon Go so extrem gespielt wird: es macht einfach Spaß. Es verbindet Sammeln mit Wettbewerb. So kann man nicht nur dem inneren Sammeldrang nachgehen, man kann sich auch sozialisieren und mit anderen Spielern messen. Schließlich sorgt Pokemon Go auch für eine kurzweilige Ablenkung vom oft stressigen Alltag und erlaubt uns kurz abzuschalten (eine bessere Alternative dazu wäre vielleicht eine regelmäßige Meditationspraxis).