Die Angst, andere könnten etwas Tolles erleben und man selbst ist nicht dabei – ich bin sicher, dieses Gefühl hat wohl jede und jeder schon einmal gehabt. Es ist in der Tat ein bekanntes Phänomen und hat eine eigene Bezeichnung: FOMO – die Abkürzung für „Fear of missing out“. Die Angst, durch eine falsche Entscheidung noch im gleichen Moment eine andere, bessere Option zu versäumen, sitzt tief in uns. Im Grunde geht es darum, dass die Erfahrungen von Freunden oder anderen Menschen besser sein könnten als die eigenen und man ist nicht dabei.
Woher kommt FOMO und warum triggert es uns?
Etwas zu verpassen, ist eine universelle Angst, die weit in die Menschheitsgeschichte zurückreicht. Früher konnte ein Zurückgelassenwerden im Extremfall lebensbedrohliche Ausmaße annehmen. FOMO ist so mächtig, weil es in unserem Gehirn verankert ist, sagt die Psychologin Anita Sanz . „Wenn wir in kleinen Gruppen herumstreiften, war es überlebenswichtig, auf dem Laufenden zu bleiben“, meint sie.“Wenn Sie sich beispielsweise keiner neuen Nahrungsquelle bewusst sind, haben Sie buchstäblich etwas verpasst, das den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten könnte.“ Unter diesem Aspekt ist es nicht verwunderlich, dass wir alle lieber „dabei sein“ wollen. FOMO triggert unsere tiefsten Bedürfnisse – unter anderen das Überleben.
Auch heute noch funktioniert FOMO perfekt im Nachrichtendienst. Kriegs- und Terrormeldungen können in der Tat über Leben und Tod entscheiden. Aber so weit wollen wir hier gar nicht gehen. Die Angst etwas zu verpassen finden wir auch im Zusammenhang mit der Nutzung digitaler Medien – insbesondere mit Social-Media und seit 2013 ist der Begriff FOMO sogar offiziell im Oxford Dictionary.
So wirkt FOMO im Marketing
Mit exklusiven Angeboten, die wir nicht versäumen sollen oder mit Newsletter-Abos, die uns auf dem Laufenden halten, agiert das Online Marketing schon länger mehr oder weniger „unbewusst“. Also immer dann, wenn suggeriert wird, dass uns andernfalls etwas entgeht. Auch die Push-Benachrichtigungen unserer Social-Media-Kanäle auf dem Smartphone drücken denselben Trigger.
FOMO-basiertes Marketing setzt hingegen diese besondere Gefühlsebene ganz gezielt ein. Unser Bedürfnis, laufend die neuesten Infos zu haben, wird bewusst aufgegriffen und verstärkt. So wird rasch die Aufmerksamkeit der Zielgruppe erreicht und ein enorm wirksamer Sales-Hebel betätigt. Eine Studie aus dem Jahr 2013 belegt, dass 60 % der Befragten innerhalb der ersten 24 Stunden, aufgrund von FOMO-Marketingmaßnahmen, entsprechende Artikel kaufen. Essen, Reisen sowie der Veranstaltungs- und Partybereich sind prädestiniert für solche FOMO-Taktiken.
Über Smartphones und mobile Endgeräte erreichen uns laufend neue Anreize und Produkte, gekoppelt mit dem Drang, diese haben zu wollen. FOMO-Marketing löst den Wunsch aus, nichts zu verpassen und animiert so Menschen dazu, Produkte oder Dienstleistungen zu kaufen. Aus Benutzern werden Kunden. Die durch FOMO herbeigeführte kurze Reaktionszeit und schnelle Handlungsbereitschaft begünstigen Impulskäufe. Den Kunden wird geschickt dargebracht, dass sie besser jetzt kaufen, als es später zu bereuen. Sie kaufen, weil sie das Gefühl haben, sonst etwas Gutes zu verpassen. Wir kennen das alle: Einige noch aus dem Tele-Shopping-Kanal, wo die verfügbare Stückzahl des Produktes jede Minute abnimmt, andere wieder verknüpfen damit den Countdown auf einer Salespage. Beides hat dasselbe Ziel: Dem Kunden zu suggerieren, dass er sich jetzt entscheiden und zugreifen soll!
Wer und wo ist die Zielgruppe des FOMO-Marketing?
Soziale Medien sind die ideale Spielwiese und Millenials das größte potenzielle Publikum, so die Zusammenfassung. Millenials, die spätere Generation Z, aber auch generell Nutzer sozialer Netzwerke und häufig genutzter Apps sind das größte FOMO-Publikum. Mit weltweit drei Milliarden aktiven Social-Media NutzerInnen gibt es hier eine riesige Zielgruppe, die mit dieser Strategie gut erreichbar ist. Untersuchungsergebnisse und https://strategyonline.ca/2015/03/09/the-impact-of-fomo/ lassen den Schluss zu, dass FOMO unter den Millenials am häufigsten verbreitet ist. Über 60 % reagieren bei FOMO mit einem Kaufreflex. Eine aktuelle Studie, die im Journal of Social and Personal Relationships veröffentlicht wurde, meint allerdings, dass die Angst etwas zu versäumen, nicht ausschließlich mit dem jüngeren Alter zusammenhängt. Den Psychologen der Washington State University zufolge, weisen Menschen mit Einsamkeitsgefühlen, geringerem Selbstwert und weniger Selbstfürsorge eine Tendenz zu FOMO auf. Eventuell wird hier das Bedürfnis der Zugehörigkeit ebenfalls aktiv bedient. Falls ja, ist das ein Punkt, wo man auch ethische Überlegungen in sein Marketing einbeziehen sollte.
FOMO im Social-Media-Umfeld
Die sozialen Netzwerke verhelfen zu einem permanenten Einblick darüber, was in der Welt gerade passiert und was andere Menschen in ihrem Alltag unternehmen. In Echtzeit werden durchgehend mehr Wahlmöglichkeiten angezeigt, als die Nutzer in der vorhandenen Zeit verfolgen können. Der Wunsch, online dranzubleiben, um ständig im Blick zu behalten, was sie ohne die Nutzung des Mediums versäumen würden, verstärkt sich. Wer möchte nicht dabei sein und an tollen Erfahrungen anderer teilhaben, wenn man sie schon selbst nicht hat?
Gepostete Bilder von tollen Erlebnissen der Freunde verstärken den Eindruck, etwas verpasst zu haben. Dazu kommt, dass in der virtuellen Welt der sozialen Medien es um ein Vielfaches einfacher ist, eine große Anzahl von Freundschaften zu pflegen. Das wäre in der realen Welt mit deutlich mehr Aufwand verbunden. Likes und positive Bewertungen sind mit Wohlbefinden gleichgesetzt und erzeugen ein Zugehörigkeitsgefühl. Alles, was man braucht, scheint in der Filterblase der digitalen Medien vorhanden zu sein. Die Wahrnehmung ist dabei deutlich verzerrt und bestätigt dem User, dass er etwas verpasst, wenn er nicht online bleibt. Die sozialen Plattformen bieten also den idealen Nährboden für FOMO.
Die Gegenbewegung von FOMO wird übrigens als JOMO „Joy of missing out“ bezeichnet. Hier freut man sich über Verpasstes. Es ist sogar gewollt, nicht überall dabei zu sein, weil es das überlegene Gefühl bringt, unabhängig zu sein. Das Onlineverhalten von Freunden wird zwar sehr wohl auch beobachtet und verfolgt, aber die Reaktion und die Empfindung dabei ist anders. Man emanzipiert sich von der Filterbubble. Dazu gesellt sich der Trend des Digital detox: phasenweiser, bewusster Verzicht auf den Konsum digitaler Medien.
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