Die diesjährige DeafIT fand am 9. November 2018 in der Münchner Messestadt statt. Die Entwicklung der DeafIT ist in den letzten Jahren professioneller geworden und hat sich inzwischen in der DACH-Region etabliert. Aufgrund der Größe der Community ist die Themenvielfalt viel breiter als man es von den meisten Events gewöhnt ist. Das ist wiederum ist inzwischen eine Stärke der DeafIT. Dazu kommt noch ein Themenspektrum, welches man aufgrund der speziellen Community sonst nach wie vor kaum vorfindet. Dennoch gab es wie schon letztes Jahr Themen und Referenten, die man nicht unbedingt dort erwartet. Erstmals gab es Speaker von außerhalb der DACH-Region, nämlich aus Russland und Brasilien.

Künstliche Intelligenz (KI) und Deep Learning (DL)

Es ist keine Überraschung, dass KI und DL selbst in dieser Community Einzug gehalten haben und anhand der Anzahl der Talks zu diesen Themen sozusagen die überwiegenden Schwerpunktthemen dieser Veranstaltung bildeten. Dies wurde mit einer Diskussion am Ende des Tages abgerundet. Obwohl diese Themen derzeit noch nicht unmittelbar in meinen eigenen professionellen Arbeitsbereich gehören, kann man schon gewisse zukünftige Entwicklungstendenzen herauslesen, die noch sehr spannend werden können. Denn unmittelbare Einsatzbereiche in konkreten Anwendungen gibt es einerseits schon jetzt, andererseits geschieht bereits Grundlagenforschung im Bereich Gebärdenspracherkennung, die derzeit noch in den Kinderschuhen steckt.

Gebärdenspracherkennung mit Deep Learning

Aus meiner Sicht einer der spannendsten Talks kam vom Alexey Prikhodko aus Russland, der zur Zeit in Hamburg arbeitet. Er demonstrierte, wie Gestenerkennung mit Deep Learning (Tensorflow) funktioniert. Mittels Bewegungssensoren (Leap Motion) werden Handgesten erfasst und in den Computer übertragen. Dabei werden die Gesten dynamisch in ein Koordinatennsystem übertragen. Mit mathematischen Formeln wird die Bewegung berechnet und daraufhin in seiner Bedeutung erkannt. Was in der Praxis an sich viel komplexer ist, hat er sehr vorbildlich und verständlich für das Publikum visualisiert.

Es war für mich persönlich richtig greifbar, dass in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren der Einsatz von Gebärdensprachavataren dank KI und DL eine Reife erlangen könnten, die derzeit noch nicht vorhanden ist bzw. neue Einsatzmöglichkeiten erlauben, die wir noch gar nicht absehen können. Wobei ich mir durchaus vorstellen kann, dass die zu erwartenden Entwicklungsszenarien auch in anderen Bereichen Anklang finden werden, wo die visuellen Stärken von gebärdensprachigen Menschen neue Schlüsseltechnologien hervorbringen könnten.

Dass hier auch eine besondere gesellschaftliche Verantwortung nötig ist, um uns auf mögliche kommende Gefahren vorzubereiten, zeigte sich unter anderem im Talk von Manuel Gnerlich über die Chancen und Risken der KI als auch die abschließende Diskussion am Ende der Konferenz.

Handtalk

Joaquim Amado Da Silva Júnior aus Brasilien stellte die Anwendung Hand Talk mit dem virtuellen Avatar Hugo vor. Diese läuft unter anderem mit KI und damit kann man Texte via App oder direkt auf einer Website in die brasilianische Gebärdensprache übersetzen. Daneben stellte er die Konferenz Deaf World Tech vor, die bisher vor allem im romanischen Sprachraum aktiv ist.

Microsoft Flow

Eine Anwendung, die ebenso mit KI arbeitet, demonstrierte Vincent Rothländer in seiner Keynote über Microsoft Flow: Automatisierte Workflowprozesse anhand dem Beispiel der Twitter-Einträge zu #DeafIT18.

Internet of Things

Harald Übele und Rafael Ulbrich von TechData zeigten in ihrem Vortrag die Möglichkeiten für Internet of Things über die IBM Cloud auf. Auch hier kann man KI-gestützt ganze automatisierte Prozesse zusammenstellen. Man demonstrierte, wie man via Rasperry Pi Informationen wie die Temperatur in die Cloud übertragen kann. Ein Beispiel aus der Praxis mit diesem Prozess sind zB Bäckereiketten, die aufgrund von Wetterdaten softwaregestützt herausfinden, welches Essen am nächsten Tag besser funktioniert.

Gamification und KI bei delegs

Ute Meißner und Jörn von delegs.de stellten in ihrem Talk Pläne vor, wie sie den Gebärdenschrift-Editor mit KI und Gamification weiterentwickeln wollen und banden gleich das Publikum für eine Umfrage ein, dessen Ergebnisse in diese Weiterentwicklung fließen sollen.

Hackerschool

Ganz erfrischend fand ich den Talk von Julia Freudenberg von der Hackerschool in Hamburg. Diese Idee ist aus der Not heraus entstanden, um Entwicklernachwuchs zu finden bzw. zu fördern. Denn in Deutschland findet Informatik nur selten einen Platz in den Lehrplänen und aus diesem Grund hat man die Hackerschool gegründet. Dort werden an verschiedenen Orten Kurse angeboten bzw. mit Veranstaltungen am Wochenende Jugendlichen die Möglichkeit gegeben, gemeinsam mit sogenannten Inspirern Apps oder Spiele zu entwickeln. Die Hackerschool ist bestrebt, auch gehörlose und schwerhörige Entwickler als Inspirer für die Hackerschool zu gewinnen und will in Zukunft auch barrierefrei sein.

Rust und Mozilla

Florian Gilcher von asquera führte uns in die systemnahe Programmiersprache Rust von Mozilla Research ein. Er führte uns in die Entstehungsgeschichte von Rust ein und hob vor allem dessen Besonderheiten hervor. Er zeigte, wie Rust sich von anderen Programmiersprachen wie C oder C++ sowie anderen systemnahen Programmiersprachen in den Basiskonzepten unterscheidet und eine Lösung für bekannte Speicherprobleme oder längere Laufzeiten darstellt. Wer sich mit WASM (WebAssembly) beschäftigt, wird früher oder später auf Rust stoßen.

Ende der Passwort-basierten Authentisierung

Ein anderer sehr interessanter Talk kam von Roman Kuznetsov von der Systola GmbH. Er zeigte uns auf, wie wichtig die Problematik der passwort-basierten Authentisierung ist. Pro Minute werden weltweit 2000 Passwörter gehackt. Aus diesem Grund sei eine Zwei-Faktor- oder Multi-Faktor-Authentisierung mehr als nur zu empfehlen. Er zeigte uns daher einige Passwort-Manager wie Lastpass oder 1Password auf. Weiters geht er davon aus, dass die Passwort Authentisierung in Zukunft durch neue Technologien abgelöst wird. Sein Unternehmen hat einen Passwortmanager für Windows-Netzwerkumgebungen entwickelt, die mit sogenannten One Time Password Apps auf Smartphones als Schlüssel für die Authentisierung verwendet.

Kompetenzzentrum – Digitale Inklusion

Irmhild Rogalla stellte in ihrem Impulsvortrag das “Kompetenzzentrum – Digitale Inklusion” vor. Zunächst wurde für das Büro für Technologiefolgen-Abschätzung des deutschen Bundestags ein Gutachten über die Potenziale von mobilen Internet und digitalen Technologien für die bessere Teilhabe von Menschen mit Behinderungen im Alltagsleben erstellt. Dabei wurde festgestellt, dass die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG 2.0) und Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV) überwiegend für blinde Menschen ausgerichtet ist. Menschen mit Behinderung möchten das Internet, Apps oder Spiele genauso anwenden wie alle anderen. Ein wesentlicher Punkt war, dass behinderte Entwickler der Schlüssel sind, wenn es um echten Nutzen geht. In der anschließenden Diskussion wies ich persönlich darauf hin, dass man die besondere Situation der Barrierefreiheit in Deutschland berücksichtigen müsse. Denn einerseits gibt es die WCAG und andererseits die BITV mit ihren Regeln. Das macht die Sache komplizierter als sie sein könnte. Dennoch war es erfreulich, dass Barrierefreiheit ein Thema war.

Webdeveloper Roadmap

Florian Katzmayr von der IMC FH Krems gab in seinem Talk eine Übersicht, was für einen Webdeveloper heute alles an Kompetenzen und Wissen nötig ist. Denn er hat in der Vergangenheit mit Praktikanten öfters die Erfahrung gemacht, dass sie über nicht ausreichende Kompetenzen und Wissen für die derzeit benötigten Skills verfügten, obwohl diese von einschlägigen Bildungsinstitutionen kamen. Hier zeigte sich im Konkreten, warum es auch in Österreich so schwierig ist, Fachkräfte zu finden. Die Hackerschool-Idee fand ich aus diesem Hintergrund heraus extrem inspirierend.

Performance zählt

In meinem persönlichen Talk gab ich dem Publikum einen Überblick über die Web Performance. Google hat bekanntlich in diesem Jahr Page Speed zu einem Schlüsselkriterium für das Ranking in den mobilen Suchergebnissen erklärt. 2016 wurde erstmals weltweit an der Spitze der Desktop Computer für die Nutzung des Internets durch mobile Geräte abgelöst. Ich zeigte auf, wie es derzeit in Deutschland, Österreich oder in der Schweiz aussieht. Hierzulande hat die Wachablöse noch nicht stattgefunden. Afrikanische und asiatische Länder haben für diese Wachablöse in der weltweiten Statistik gesorgt. Dennoch wird auch hierzulande der Trend in diese Richtung gehen und dafür sorgen, dass Performance ein immer wesentlicherer Faktor wird. Ich zeigte, wie das Web eigentlich funktioniert, worauf es ankommt und welche Techniken man verwenden kann. Und in einem Praxisbeispiel zeigte ich, wie man die Performance mit dem Lighthouse Audit in den Developer Tools im Chrome Browser testen kann und wie sich die Ergebnisse verbessern können.

Networking mit Sozialen Medien

Die DeafIT wurde mit der Keynote von Nicole Weißkopf über das Berufliche Networking mit Sozialen Medien und dessen Chancen und Risiken für Menschen mit Hörbehinderung eröffnet. Sie zeigte einerseits die Möglichkeiten mit Facebook, Twitter, Xing und LinkedIn auf. Andererseits berichtete sie auch von ihren Erfahrungen. Es ist nicht einfach, mit einer Hörbehinderung auf die angesagtesten Konferenzen zu gehen. In der anschließenden Diskussion wurde mehrfach der Wunsch nach barrierefreien Angeboten wie Live-Untertitelung oder Gebärdensprach-Dolmetschung geäußert. Ich möchte hier anmerken, dass Nicole eine enorme Networking-Arbeit für die DeafIT geleistet hat. Es war unübersehbar, dass der eine oder andere Talk auf der DeafIT und diese diverse Themenbreite sonst gar stattgefunden hätte.

Fünf Jahre DeafIT und Fazit

Dieses Jahr beging die DeafIT ihr fünfjähriges Jubiläum. Wenn man bedenkt, wie klein und unter welchen Umständen es angefangen hat, kann man zu dieser Entwicklung nur gratulieren. Die Jubiläumsgala am Abend rundete das Programm schön ab und erlaubte das eine oder andere Networking. Dennoch möchte ich noch einige Anregungen hier mitgeben. Es ist toll zu sehen, dass man die DeafIT neben den A-Tag in Wien als diejenigen IT-Veranstaltungen im deutschen Sprachraum sehen kann, die Diversity und Inklusion vorleben: Gebärdensprach- und Schriftdolmetschen sind Standard. Dennoch möchte ich anmerken, dass wir noch immer kein optimales Bühnensetting dafür haben. Präsentationen werden zu klein und unlesbar, weil die Untertitel (UT) so viel Raum einnehmen oder die UT ist zu weit von der Bühne entfernt. Für die Zukunft gibt es noch viel Gestaltungsspielraum!